Mittwoch, 8:30 Uhr. Maria Maderthaner kommt in einem weißen Kleinwagen angebraust, auf dem das Emblem der Diakoniestation prangt, und sammelt ihre Begleitung ein, die ihr heute ein bisschen bei der ambulanten Pflege über die Schulter blicken darf.
Die Fahrt führt ins Kurpark-Viertel, zu einem der schönen Gründerzeit-Häuser, die hier das Straßenbild bestimmen. Maria Maderthaner schließt die Haustür auf. „Wir haben für viele Wohnungen unserer Patienten die Schlüssel“, sagt sie. Ob das der Fall ist oder nicht, ist eine individuelle Frage des Vertrauens – und der körperlichen Verfassung des Patienten. Maderthaner flitzt flink die Treppen hinauf. Es sind viele – denen noch viele mehr folgen werden an diesem Tag. 20 bis 25 Patienten betreut die Gesundheits- und Krankenpflegerin jeden Tag. „Sie wohnen fast immer ganz oben“, sagt sie.
Elfriede Roser* wartet schon an der Wohnungstür. „Guten Morgen, wie geht’s? Alles in Ordnung?“, fragt Maria Maderthaner. „Ja. Es muss ja“, antwortet Roser und bittet ins Wohnzimmer. Sie setzt sich aufs Sofa, Maderthaner gibt ihr die benötigte Insulinspritze in den rechten Oberschenkel. Das geht ruckzuck, beide sind im Training. Maderthaner kontrolliert noch die Medikamente und vermerkt alles im Berichteblatt, das es für jeden Patienten gibt. Weiter geht’s, die Treppen hinunter, ab ins Auto.
Maria Maderthaner läuft hurtig, hetzt aber nicht. Sie fährt zügig, aber sicher und nicht aggressiv. Ob beim Patienten oder auf dem Weg von A nach B: Sie wirkt ruhig, entspannt. Sogar heute, wo die neugierige Begleitung alles etwas durcheinanderbringt und für Zeitverzögerungen sorgt. „Ich komme mit der Zeit gut hin, weil ich eine feste Tour habe“, meint Maderthaner. Im Frühjahr 2013 fing sie im ambulanten Dienst der Diakoniestation an, seit Frühjahr 2014 hat sie ihre feste Tour in Bad Cannstatt. Das hat Vorteile: „Ich kenne meine Patienten und muss nicht immer erst so viel nachschauen, wer was braucht.“ Die 25-Jährige kennt ihre Patienten nicht nur, sie mag sie auch. „Wenn ich morgens mal keine Lust habe zu arbeiten und dann beim ersten Patienten bin – dann habe ich sie wieder.“
Es geht in den Veielbrunnen, das Wohngebiet am Cannstatter Wasen. Inge Radmann* hat ordentlich eingeheizt. Gut, dass die Jacken längst im Auto abgelegt sind. Allein das Treppensteigen ist schon schweißtreibend. Radmann spurtet keine Treppen hoch und runter, und wer sitzt, der friert. Auch an einem strahlend schönen Oktobertag. „Mir geht’s wieder besser“, sagt sie. „Ein paar Tage hatte ich Schwierigkeiten, es ging mir nicht gut, aber jetzt habe ich Medikamente bekommen.“ Maderthaner kontrolliert, wie ohnehin immer, ob Radmann alle verordneten Arzneien genommen hat. Und sie hört zu, das ist mindestens genauso wichtig. Inge Radmann fühlt sich heute etwas beobachtet ob der ungewohnten Menschen in ihrer Küche. „Morgen komme ich wieder – alleine“, sagt Maria Maderthaner zum Abschied und lächelt.
Nächste Station: Ein Mehrfamilienhaus im Seelberg-Viertel auf der anderen Seite der Bahngleise. Maderthaner klingelt, wir warten. „Frau Berner* schläft gerne lange“, meint sie. „Ja?“, tönt es aus der Gegensprechanlage. „Hallo, Diakonie“, kündigt Maria Maderthaner sich an. Der Summer ertönt. Zur Abwechslung geht es mal nur in den ersten Stock. Luise Berner bittet in ihre Küche. „Ich bin noch beim Frühstücken“, sagt sie, bereits hübsch für den Tag zurechtgemacht. Maderthaner kontrolliert auch hier die Medikamente, sortiert die für den heutigen Tag in eine entsprechende Box, informiert über eine nötige Zuzahlung. „Und sonst ist alles gut?“, fragt die Krankenpflegerin. „Na ja, es läuft“, meint Berner. Seit 16 Jahren lebt sie in ihrer Wohnung, früher zusammen mit ihrer Schwester, mittlerweile alleine. „Ich mache langsam, und wenn mich keiner jagt, geht’s. Aber ich brauche schon ein bisschen Hilfe“, so die 88-Jährige. „Einkaufen kann ich natürlich nicht alleine, aber da kommt ja einer.“ „...von uns“, ergänzt Maria Maderthaner. Heute Nachmittag kommt auch jemand – der Luise Berner abholt und in die AWO-Begegnungsstätte „Seelbergtreff“ ganz in der Nähe bringt. Da steht heute eine Geburtstagsfeier auf dem Programm, es gibt Torte. Die Seniorin freut sich schon. Solange es so geht, wie es im Moment geht, möchte sie zu Hause wohnen bleiben. Wir verabschieden uns. „Ade, ihr Schawuzzel!“
Maria Maderthaner steuert das Auto den Berg hinauf, in den Muckensturm. Elvira Thom* wohnt dort zusammen mit ihrem Sohn Friedrich Thom* in einem Haus. Sie bekommt heute eine sogenannte große Toilette, wird also von Kopf bis Fuß gewaschen. „Weil es im Bad so eng ist, wasche ich ihr die Beine und Füße im Bett“, erklärt Maria Maderthaner. Thom lacht los – weil es kitzelt, als ihr nach dem Waschen die Füße eingecremt werden. Plötzlich kichert die 94-Jährige erneut los. „Was ist?“, fragt Maria Maderthaner. „Hinter Ihnen...“, sagt Elvira Thom glucksend und deutet auf den Fotografen, der hinter seinem Objektiv versteckt hinter der Pflegerin steht. Zur restlichen Toilette gehen die beiden ans Waschbecken im Badezimmer direkt nebenan. „Wenn’s zu warm ist, sagen Sie’s.“ Ach, ich bin abgebrüht.“ Sauber und frisch angezogen geht Thom wenig später mit Maderthaners Hilfe ins Erdgeschoss hinunter, wo ihr Sohn schon wartet.
Elvira Thom macht es sich am Tisch gemütlich. Für die Pflegerin geht es weiter – es warten noch einige Patienten. Sie steigt ins Auto und braust davon.
*Name geändert
Lako